Wo der liebe Gott wohnt… (Tag 6)

Auch wenn dieser Tag viel Unbill gebracht hat, gilt doch das schöne Sprichwort, dass man selbigen nicht vor dem dazugehörenden Abend loben – oder in unserem Fall ausschimpfen – soll. Dieses Loblied auf den Abend kam nicht wirklich unerwartet als Wiedergutmachung für viel Ärger, sondern war wohl kalkuliert, eiskalt berechnet sozusagen. Aber ist es schlimm, wenn man bei bestimmten Dingen im Leben schon vorher ganz genau weiß, was einen erwartet? Und ist es schlimm, wenn man inmitten dieser Unannehmlichkeiten schon vorher weiß, dass man in wenigen Stunden ein riesengroßes rosarotes Heile-heile-Segen-Trostpflaster auf’s aufgeschlagene Gemüt geklebt bekommt? (Natürlich wär’s uns noch lieber gewesen, uns dieses „Alles gut und das Leben ist einfach nur himmlisch“-Pflaster ohne Autopannenscherereien in’s Reisetagebuch zu picken)

So fiel die Beantwortung einer ganz bestimmten Frage nicht schwer, es ging uns sozusagen wie bei der Millionenshow, wo der Kandidat eine Millionenfrage genau über das Thema bekommt, wo er vorher noch ein dickes Buch dazu gelesen hat. Der jubelt auch, wenn die Goldkonfetti auf ihn niederregnen. Gut, der Vergleich hatscht ein bissl, schließlich weiß der Kandidat die Frage und die Antwort erst, wenn er schon die längste Zeit auf dem Stuhl hockt. Wir wussten es in dem Moment, als wir die virtuelle Stecknadel in die reale Österreichkarte gepinnt haben. Im März.

Achso, ja, die Frage:

„Wo wohnt der liebe Gott?“

Es kann nur eine Antwort geben: in Werfen, im schönen Salzburg. Warum gerade da? Gibt’s nicht noch viele andere, mindestens gleich schöne Orte in Österreich? Ja, mag sein. Aber denen fehlt samt und sonders etwas Entscheidendes. Die haben nämlich keine Obauers. Und drum wohnt der liebe Gott ganz eindeutig hier, und nirgendwo sonst.

Wer schon mal hier war, wird jetzt seufzend die Augen schließen und sich denken: „Ooooooh, jaaaaa!!!!“ Allen Heiden sei erklärt: die Brüder Obauer sind seit gut zwanzig (!) Jahren ein kulinarischer Fixstern am europäischen Kulinarik-Himmel. Schon ziemlich gleich lang sind die Brüder ohne Unterbrechung (!) mit vier Gault-Millau-Hauben ausgezeichnet, eine Konstanz, die hierzulande fast niemand schafft. Aber wir sind ja nicht hier, um Hauben zu essen, sondern um uns mit Messer und Gabel in die fünftnächste Dimension zu beamen – und, jajajaja, nicht ungeduldig werden, ich komm ja schon zur Sache 🙂

Aperitif
Fotolos ausgesoffen. Rote Ribisel, mit Sagoperlen und Minze als Bowle eingelegt, ein Löffelchen davon mit Cremant Rosé aufgegossen.
Als kleiner Appetizer dazu:

20130802-220450.jpg
I. UZS: Gebackener Steinbutt auf Kernöl-Mayonnaise, am Löffel Marillen-Sauerrahm-Creme, darüber eine Lammsulz und Apfel-Chili-Gelée
Ich hab keine Ahnung, wie man so viel Geschmack in so einen kleinen Würfel Sulz bekommt.

Die Menüwahl fiel uns nicht schwer.

Amuse Gueule
Jeder bekam etwas anderes. Und wer fototechnisch zu spät kommt, der hat nachher keines.

20130802-221622.jpg
Kalbstartare; ohne Foto: Kohlrabi-Blätter mit Nuss-Pesto, Radieschen-Schaumsüppchen
Man lasse zukünftig lieber die Radieschen beim Marktstandl und nehme nur die Blätter mit, sollen die Kaninchen was anderes fressen, die Blätter bekommen sie nicht mehr. Das Süppchen kam übrigens gut gekühlt, in einer gaaaaaaanz leicht angedickten Form, fast ein bisschen so, wie Vanillemilch, natürlich ohne Vanille, Grün-Milch sozusagen, herrlich erfrischend. Das Nuss-Pesto…. kann eigentlich keine große Hexerei sein… man müsst‘ halt nur auf den Trick dahinter kommen. Der Honig? Oder doch einfach das Zusammenspiel mit den leicht pfeffrigen Kohlrabi? Auf einem kleinen Löffelchen der Geschmack von fünf Kilo Nüssen. Die Eichhörnchen gehen zukünftig auch leer aus.

Vorspeise

20130802-221045.jpg
Terrine vom Perlhuhn und Gänseleber, mit Fenchel und Apfel-Staudensellerie-„Kompott“
Gänseleber hat leider einen ganz schlechten Ruf. Aber ich gehe mal fix davon aus, dass das hier ganz sicher keine – zu Recht verbotene – Stopfleber ist. Gänse werden nun mal, wie viele andere Tiere auch, gegessen, und Gänse haben Lebern. Warum also wegwerfen? Als „Zwischendecke“ ist knackig gegarter Fenchel eingezogen, das ganze nicht süßlich, wie bei Leber sonst oft üblich, sondern durch die Apfelwürfel, Granatapfelsaft und frische Kräuter (Steinklee und Fenchelblüten) knackig säuerlich mariniert. So erlebt man zuerst die einfach nur sündhaft-mollige Cremigkeit der Leberterrine und dann dazu das Anis-Aroma des sommerlichen Fenchel und zum Drüberstreuen das Granatapfel-Aroma, während sich das Perlhuhn zwischendrin ganz zart zurückhält und sozusagen eine Bühne bildet für die sommerliche Geschmackswelt der anderen Zutaten.

1. Hauptgang

20130803-153455.jpg
Zander mit Radieschennudeln
Ein Glasschiffchen ankert am Tisch. Wunderbarer Duft schlägt einem entgegen, von dottergelben Eiernudeln, dazwischen kurz und knackig gegarte Radieschen-Stiftchen (wir revidieren, die Kaninchen kriegen auch die Radieschen NICHT. Und werden sie zukünftig nicht mehr nur in Blattsalat versenken) – alles in einer wiesengrünen, säuerlich-frischen Estragonsauce. Und auf all dem thronen zwei dicke Tranchen Zander, offensichtlich vakuumgegart, unbeschreiblich zart und saftig entwickelt der Fisch im Mund Geschmacksnuancen, die man so noch nicht kannte. Als nur noch ein „Noagerl“ im Teller ist, überlegen wir, ob wir durch gezielten Wurf des Salzsteuers in Richtung Weingläser einen Tumult verursachen sollen, um ungestört die Teller abschlecken zu können. Aber wir bleiben natürlich zivilisiert 🙂

Dazu übrigens ein Sauvignon blanc vom Grassnitzberg.

2. Hauptgang

20130803-185030.jpg
Rosa Beiried und geschmorte Wade vom Jungrind, mit Wacholder und Kohlrabi-Gemüse
Jetzt wäre wirklich fast etwas in Richtung Weingläser geflogen, um ungestört die Teller abzuschlecken oder unsere Eltern hätten sich in Abwesenheit für laute Schmatzgeräusche geschämt – und das anwesende eigene Kind wär gleich noch ordentlich verzogen worden. Für dieses Gericht gab es nur ein Wort: einfach UNGLAUBLICH. Ein butterzartes Beiriedstückerl, mollig-sahnig-dillige Kohlrabi, die fortan zum König der Gemüse ernannt werden. Und dann die geschmorte Rinderwade im Wacholdersafterl… wie kann man die beschreiben… gar nicht. Dafür gibt es keine Worte. Das Fleisch so zart, dass man es mit dem Kaffeelöffel essen hätt‘ können, das Wacholdersafterl dicht, facettenreich, würzig, sensationell, UNGLAUBLICH eben.

Den Wein habe ich mir ob dieser paradiesischen Opulenz nicht gemerkt, es war irgendwas wunderschönes Rotes aus dem Burgenland, das natürlich – wie könnte es anders sein, wenn im perfekt eingespielten Team auch ein Klasse-Sommelier ist – grandios gepasst hat.

Ermattet lässt man sich in den Sessel sinken und denkt, dass es gar nicht mehr menschenmöglich sein kann, diesen Gang noch zu toppen. Aber dann…

DAS Dessert

20130803-210040.jpg

20130803-210107.jpg
Buttermilch-Schlüsselblumenhonig-Mus mit Nusskeks, Rhabarber und Sauerampfer-Eis

Wo fang‘ ich bloß an… das herrlich erfrischende, fluffige, ganz leicht honigsüße Mus, dazu ein mürb-knuspriger, intensiv nussiger, dünner Keks, säuerliches Rhabarberkompott, aber die Krönung des Ganzen war das Eis. Ein Löffelchen schmilzt sofort im Mund und explodiert genau da und plötzlich ziehen im Zeitraffer all die saftig-grünen Wiesen vor dem geistigen Auge vorbei, und man spürt den frischen Almwind von Galtür und den Geruch von frischem Gras, der einem irgendwo auf der Fahrt in die Nase gestiegen ist. Und es ergibt sich mit dem buttermilchigen Mus und den gelben Schlüsselblumen ein Bild, ein Gesamtkunstwerk.

Die Kühe müssen sich zusammen mit den Kaninchen und den Eichhörnchen zukünftig auch was anderes zum Fressen suchen. Sauerampfer wird requiriert.

Die kleinen Naschereien, die noch dazu gestellt wurden, Mandelbögen, kleine Marshmellows, ein Himbeer-Haferflockenwürfel,ein kleines cremiges Würfelchen und Beerengelee, gehen da fast unter.

Man geht ganz langsam ins Zimmer zurück, als könnte man damit noch ein kleines Stückchen länger an diesem Abend festhalten und kippt da müde, satt und sehr zufrieden mit dem Wissen in’s Bett, dass man hier dem Himmel ein kleines Stückchen näher ist, als sonstwo, denn hier muss er wohnen, auf jeden Fall essen – oder vielleicht kochen, der liebe Gott.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s